Martin sitzt schweigend am Küchentisch, während seine Frau Sonja ihm Vorwürfe macht: „Du kommst immer zu spät nach Hause! Ich muss mich allein um alles kümmern!“ Martin fühlt sich angegriffen und verteidigt sich: „Ich arbeite den ganzen Tag, damit wir uns alles leisten können!“ Ihre Tochter Lisa versucht zu vermitteln: „Hört auf zu streiten, ich kann das nicht mehr ertragen.“ Eine typische Familiensituation, die das Drama-Dreieck perfekt veranschaulicht – ein psychologisches Modell, das erklärt, warum wir in Konflikten oft in festgefahrene Rollen verfallen, die Probleme eher verschärfen als lösen.
Das Drama-Dreieck, auch als Karpman-Dreieck bekannt, ist ein sozialpsychologisches Modell, das 1968 vom Psychiater Stephen Karpman entwickelt wurde. Es beschreibt drei Rollen, die Menschen in Konfliktsituationen einnehmen: Opfer, Verfolger und Retter. Diese Rollenverteilung führt zu festgefahrenen, unproduktiven Verhaltensmustern und verhindert häufig die konstruktive Lösung von Konflikten.
Die drei Rollen im Drama-Dreieck
Das Drama-Dreieck beschreibt drei verschiedene Positionen, die Menschen in konfliktreichen Situationen einnehmen. Jede dieser Rollen bringt spezifische Verhaltensweisen mit sich und beeinflusst die Dynamik zwischen den beteiligten Personen maßgeblich. Entscheidend dabei: Die Rollen sind nicht starr, sondern Menschen wechseln häufig zwischen ihnen – manchmal innerhalb weniger Minuten.
Die Rolle des Opfers
Das Opfer fühlt sich hilflos, überfordert und der Situation ausgeliefert. Es sieht sich selbst als machtlos und sucht nach Bestätigung für seine Hilflosigkeit. Typische Gedanken des Opfers sind: „Ich kann nichts dafür“, „Mir passiert immer so etwas“ oder „Ich schaffe das nicht alleine“. Diese Haltung führt zu einer passiven Einstellung gegenüber Problemen und der Erwartung, dass andere die Lösung bringen müssen.
Die Rolle des Verfolgers
Der Verfolger nimmt eine autoritäre, kritische und manchmal aggressive Position ein. Er übt Druck aus, macht anderen Vorwürfe und sucht nach Schuldigen. Der Verfolger glaubt, im Recht zu sein und rechtfertigt sein Verhalten mit Aussagen wie „Das ist doch offensichtlich falsch“ oder „Wenn du nur richtig zuhören würdest“. Diese Rolle ist geprägt von Kontrolle, Kritik und der Überzeugung, die richtige Lösung zu kennen.
Die Rolle des Retters
Der Retter sieht seine Aufgabe darin, anderen zu helfen – oft ohne gefragt zu werden. Er fühlt sich für die Probleme anderer verantwortlich und glaubt, dass nur er die Situation retten kann. Der Retter vernachlässigt dabei häufig seine eigenen Bedürfnisse und schafft indirekt Abhängigkeiten. Seine typischen Gedanken sind: „Ohne mich schafft er/sie das nicht“ oder „Ich muss eingreifen, sonst geht das nicht gut“.
Die Dynamik zwischen diesen drei Rollen ist besonders interessant: Verlässt eine Person ihre Rolle, passen sich die anderen oft an, um das Drama-Dreieck aufrechtzuerhalten. Dies erklärt, warum viele Konflikte nach einem wiederkehrenden Muster ablaufen und sich schwer auflösen lassen.
Wie das Drama-Dreieck unsere Beziehungen beeinflusst
Das Drama-Dreieck wirkt in nahezu allen zwischenmenschlichen Beziehungen – in Partnerschaften, Familien, am Arbeitsplatz und sogar in größeren sozialen Systemen. Die negativen Auswirkungen auf Beziehungsqualität und psychisches Wohlbefinden sind erheblich und manifestieren sich in verschiedenen Kontexten unterschiedlich.
Drama-Dreieck in Partnerschaften
In Partnerschaften kann das Drama-Dreieck zu festgefahrenen Konflikten führen, bei denen ein Partner häufig die Rolle des Verfolgers einnimmt („Du räumst nie auf“), während der andere zum Opfer wird („Du kritisierst mich ständig“). Manchmal kommt ein dritter Akteur ins Spiel – etwa ein Kind, ein Freund oder ein Elternteil – der die Rolle des Retters übernimmt und vermitteln möchte. Diese Konstellationen verstärken Probleme oft, anstatt sie zu lösen.
Eine typische Situation: Ein Partner fühlt sich vernachlässigt (Opfer), macht dem anderen Vorwürfe (wird zum Verfolger), woraufhin dieser sich entschuldigt und besondere Aufmerksamkeit schenkt (wird zum Retter). Diese Dynamik kann zu manipulativen Verhaltensmustern führen, bei denen Opferrollen strategisch eingesetzt werden, um Aufmerksamkeit zu erhalten.
Drama-Dreieck am Arbeitsplatz
Im beruflichen Kontext zeigt sich das Drama-Dreieck besonders deutlich in Teams mit unklaren Verantwortlichkeiten oder mangelhafter Kommunikation. Hier kann es zu Schuldzuweisungen kommen (Verfolger), während andere Teammitglieder in Passivität verfallen (Opfer) und wieder andere versuchen, alles auf ihre Schultern zu nehmen (Retter).
Besonders problematisch wird es, wenn Führungskräfte zwischen den Rollen wechseln – etwa indem sie erst übermäßig kontrollieren (Verfolger), dann bei Problemen einspringen und alles selbst erledigen (Retter), um schließlich über mangelnde Unterstützung zu klagen (Opfer). Diese Inkonsistenz verunsichert Teams und verhindert eigenverantwortliches Arbeiten.
Transgenerationale Weitergabe des Drama-Dreiecks
Familiensysteme geben Kommunikations- und Konfliktmuster oft über Generationen weiter. Kinder, die in Familien mit ausgeprägten Drama-Dreieck-Dynamiken aufwachsen, lernen diese Verhaltensmuster als „normal“ kennen und übernehmen sie häufig in ihren späteren Beziehungen. So kann ein Kind, das ständig zwischen streitenden Eltern vermittelt hat (Retter), auch im Erwachsenenalter dazu neigen, Verantwortung für die Gefühle anderer zu übernehmen und eigene Bedürfnisse zurückzustellen.
Die Erkenntnis dieser transgenerationalen Muster ist oft der erste Schritt, um den Kreislauf zu durchbrechen. Wenn wir verstehen, dass bestimmte Verhaltensmuster nicht Teil unserer Persönlichkeit, sondern erlernte Strategien sind, eröffnen sich neue Handlungsmöglichkeiten.
Ausstieg aus dem Drama-Dreieck: Das Winner-Dreieck
Die Erkenntnis, im Drama-Dreieck gefangen zu sein, kann zunächst frustrierend sein. Doch es gibt effektive Wege, diesen unproduktiven Kreislauf zu durchbrechen. Stephen Karpman selbst entwickelte als Alternative zum Drama-Dreieck das sogenannte Winner-Dreieck (oder Gewinner-Dreieck), das gesündere Alternativen zu den problematischen Rollen bietet.
Von der Opferrolle zur Selbstverantwortung
Statt sich hilflos zu fühlen, geht es darum, Verantwortung für die eigene Situation zu übernehmen. Dies bedeutet nicht, sich selbst die Schuld zu geben, sondern anzuerkennen, dass man Einfluss auf die eigenen Reaktionen und Entscheidungen hat. Konkrete Schritte sind:
- Die eigenen Gefühle wahrnehmen, ohne sie anderen zuzuschreiben
- Klare Grenzen setzen und kommunizieren
- Aktiv nach Lösungen suchen, statt in Problemen zu verharren
Von der Verfolgerrolle zum konstruktiven Feedback
Anstatt andere zu kritisieren oder zu beschuldigen, geht es darum, Anliegen sachlich und lösungsorientiert anzusprechen. Dies kann bedeuten:
- Persönliche Bedürfnisse in Ich-Botschaften formulieren
- Zwischen Verhalten und Person unterscheiden
- Gemeinsam nach Lösungen suchen, statt Recht haben zu wollen
Von der Retterrolle zur echten Unterstützung
Statt ungefragt einzugreifen und Verantwortung zu übernehmen, geht es darum, andere in ihrer Eigenverantwortung zu stärken. Dies kann bedeuten:
- Hilfe anbieten, ohne sie aufzudrängen
- Die eigenen Grenzen wahren und kommunizieren
- Andere in ihrer Problemlösungskompetenz unterstützen, statt Probleme für sie zu lösen
Der Ausstieg aus dem Drama-Dreieck ist kein einmaliger Akt, sondern ein Prozess. Besonders in stressigen Situationen fallen wir leicht in alte Muster zurück. Entscheidend ist, diese Muster zu erkennen und bewusst gegenzusteuern. Mit jeder Situation, in der wir nicht in unsere gewohnte Rolle verfallen, schwächen wir die Macht des Drama-Dreiecks.
Praktische Übungen zur Überwindung des Drama-Dreiecks
Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Drama-Dreieck ist wichtig – doch letztlich führen nur praktische Veränderungen zu neuen Erfahrungen. Die folgenden Übungen können helfen, eingefahrene Muster zu erkennen und schrittweise zu verändern.
Rollenreflexion: Die eigenen Muster erkennen
Eine effektive Methode zur Selbstreflexion ist das Führen eines „Rollen-Tagebuchs“. Notieren Sie über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen täglich Situationen, in denen Sie eine der drei Rollen eingenommen haben. Fragen Sie sich dabei:
- Welche Rolle habe ich eingenommen?
- Was hat diese Rolle bei mir ausgelöst?
- Welche alternativen Handlungsmöglichkeiten hätte es gegeben?
- Was hätte ich gebraucht, um anders zu reagieren?
Diese Reflexion schärft das Bewusstsein für die eigenen Verhaltensmuster und ist die Voraussetzung für Veränderung. Oft zeigen sich dabei überraschende Erkenntnisse – etwa, dass man in bestimmten Beziehungen immer wieder dieselbe Rolle einnimmt oder dass bestimmte Themen besonders starke Reaktionen auslösen.
Kommunikationstraining: Neue Ausdrucksformen entwickeln
Um aus dem Drama-Dreieck auszusteigen, brauchen wir neue Kommunikationsmuster. Eine bewährte Methode ist das Training von Ich-Botschaften nach dem Schema:
1. Wahrnehmung: „Wenn ich sehe/höre, dass…“
2. Gefühl: „…fühle ich mich…“
3. Bedürfnis: „…weil ich … brauche.“
4. Bitte: „Ich würde mir wünschen, dass…“
Ein Beispiel: Statt „Du kommst immer zu spät, dir ist unsere Abmachung wohl egal!“ (Verfolger) könnte die Aussage lauten: „Wenn ich sehe, dass du 30 Minuten später kommst als vereinbart, bin ich frustriert, weil mir Verbindlichkeit wichtig ist. Ich würde mir wünschen, dass du mich informierst, wenn sich deine Ankunftszeit verschiebt.“
Diese Form der Kommunikation vermeidet Schuldzuweisungen und ermöglicht einen konstruktiven Dialog auf Augenhöhe. Sie kann zunächst ungewohnt oder umständlich wirken, wird aber mit Übung immer natürlicher.
Achtsamkeitsübungen: Frühe Anzeichen erkennen
Drama-Dreiecke entwickeln sich selten von einem Moment auf den anderen. Meist gibt es körperliche und emotionale Frühwarnsignale, wenn wir in eine unserer gewohnten Rollen rutschen. Regelmäßige Achtsamkeitsübungen können helfen, diese Signale frühzeitig wahrzunehmen:
- Tägliche Körperwahrnehmungsübungen (5-10 Minuten)
- Bewusstes Atmen in herausfordernden Situationen
- „Stopp-Technik“: Bei ersten Anzeichen innerlich „Stopp“ sagen und drei tiefe Atemzüge nehmen
Je früher wir erkennen, dass wir dabei sind, in eine Drama-Dreieck-Rolle zu schlüpfen, desto leichter fällt es uns, innezuhalten und bewusst anders zu reagieren. Mit der Zeit werden neue, konstruktivere Verhaltensweisen zur Gewohnheit.
Das Drama-Dreieck in größeren sozialen Kontexten
Das Drama-Dreieck wirkt nicht nur in persönlichen Beziehungen, sondern prägt auch gesellschaftliche Diskurse und institutionelle Dynamiken. In der öffentlichen Debatte lassen sich häufig Opfer-Verfolger-Retter-Konstellationen beobachten – etwa wenn soziale Gruppen pauschal als hilfsbedürftige Opfer, bedrohliche Verfolger oder heroische Retter dargestellt werden.
Organisationen und Unternehmen können ebenso in diesen Mustern gefangen sein. Ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter in ständiger Abhängigkeit hält (Mitarbeiter als Opfer), gleichzeitig hohe Anforderungen stellt (Unternehmen als Verfolger) und dann großzügige Sozialleistungen anbietet (Unternehmen als Retter), schafft keine gesunde Arbeitskultur.
Die Überwindung des Drama-Dreiecks auf gesellschaftlicher Ebene erfordert differenzierte Diskurse, die Komplexität zulassen und auf Pauschalisierungen verzichten. In Organisationen bedeutet es, Strukturen zu schaffen, die Eigenverantwortung fördern und gleichzeitig klare Unterstützung bieten, ohne Abhängigkeiten zu erzeugen.
Vom Wissen zum Handeln: Die Integration in den Alltag
Das Verständnis des Drama-Dreiecks ist wertvoll – doch entscheidend ist, dieses Wissen in konkretes Handeln umzusetzen. Die meisten Menschen erkennen zwar theoretisch ihre Muster, finden sich aber in emotionalen Situationen schnell wieder in ihren gewohnten Rollen wieder. Der Schlüssel zu nachhaltiger Veränderung liegt in kleinen, konsequenten Schritten:
- Beginnen Sie mit einer Beziehung oder einem Kontext, in dem Sie sich sicher fühlen
- Wählen Sie zunächst Situationen mit geringem emotionalen Stress
- Feiern Sie kleine Erfolge und lernen Sie aus Rückschlägen
- Suchen Sie sich Unterstützung – durch Freunde, Coaching oder Therapie
Die Überwindung des Drama-Dreiecks ist eine lebenslange Reise. Mit jedem bewussten Schritt aus den gewohnten Rollen stärken wir unsere Fähigkeit zu authentischer Kommunikation und echten Begegnungen. Anstatt in den alten Mustern gefangen zu bleiben, eröffnen sich neue Möglichkeiten der Verbindung – zu uns selbst und zu anderen.
Das Drama-Dreieck ist nicht nur ein Modell zur Erklärung von Konflikten, sondern auch ein Werkzeug zur persönlichen Entwicklung. Indem wir unsere eigenen Muster erkennen und bewusst neue Wege gehen, tragen wir zu gesünderen Beziehungen bei – in unserem direkten Umfeld und darüber hinaus. Jeder Ausstieg aus dem Drama-Dreieck ist ein Schritt in Richtung einer kommunikationsfähigeren, empathischeren Gesellschaft.

Heeey, ich bin Vinc ich bin vor kurzem mit meinem Studium in Medienpsychologie fertig geworden und habe jetzt meinem Ersten Job in einer Marketing Agentur angenommen. In meiner kurzen Karriere durfte ich allerdings schon viel lernen. ich möchte euch beibringen wie IHR besser und erfolgreicher lernen könnt. Freut euch auf meinen Content! Stay tuend!